Queer ist vieles, ist Einstellung, Lebensweise, Identität, ist eine Bewegung, die sich selbst definiert. Es ist ein Begriff, unter dessen Dach alle Platz haben können, die nicht nach heterokonformen Maßstäben leben – Schwule, Lesben, Bisexuelle, Intersexuelle, Transgender, Pansexuelle, Asexuelle, aber auch BDSM-Menschen.
Das transition – International Queer & Minorities Film Festival zeigt heuer zehn Filme von und über Menschen, die in Frieden nach alternativen Lebenskonzepten leben. Sie wollen mit ihrem Programm besonders den Alltag queerer Menschen mit Migrationshintergrund eine Präsenz geben, um Verständnis für damit einhergehenden Problematiken einer doppelt-marginalisierten Gruppe aufzubauen.
Als wir im Jahr 2011 eine lockere Atmosphäre suchten, um queere Minorities (Minderheiten) zusammenzubringen, fanden wir diese im Kinosaal. Allerdings waren wir damals als Wiener*innen in Europa noch relativ alleine auf weiter Spur unterwegs. Innerhalb weniger Jahre zündete unser Filmfestival transition allerdings einen Funken an, der sich wie ein Lauffeuer über Europa und darüber hinaus verbreitete.
Gründer & Festivalleiter Yavuz Kurtulmus und Kreativleiterin Jasmin Hagendorfer
Einer der Kerngedanken aus der fast 10jährigen Geschichte von transition bleibt dabei unverändert: queere Menschen sollen sich auf der Leinwand wiedererkennen und somit das Gefühl, alleine zu sein, überwinden können.
Programm:
The Story of the Stone
Regie: Starr Wu – Drama, 2018, Taiwan
THE STORY OF THE STONE basiert auf einem Klassiker der chinesischen Literatur des 18. Jahrhunderts und ist eine Hommage an die Schwulenszene in Taiwans Hauptstadt Taipeh. Inspiriert von der Relektüre dieser bemerkenswerten Liebesgeschichte, ließ sich Regisseur Starr Wu dazu hinreißen, die Geschichte in einen Film zu verwandeln. Verortet im Red House in Tapehs Schwulenviertel Ximending, bringt Wu die Charaktere und Ereignisse der Romanvorlage ins 21. Jahrhundert. THE STORY OF STONE zeichnet ein chaotisches, doch aufrichtiges Bild der Schwulenszene in Taipeh, das moralisierende oder urteilende Perspektiven vermeidet.
The Garden Left Behind
Regie: Flavio Alves – 2020, Drama,USA/Brasilien
Tina ist 30 Jahre alt, Transperson aus Mexiko und lebt ohne Aufenthaltsgenehmigung in New York und hält sich als Taxifahrerin über Wasser. Sie wohnt bei ihrer mexikanischen Großmutter Eliana, die Tinas beginnende Transition nicht zu begreifen scheint. Begleitet von der ständigen Angst vor einer Abschiebung und transfeindlichen Übergriffen, die sich in ihrer Nachbarschaft mehren, schließt sich Tina einer Gruppe Trans-Aktivist*innen an. THE GARDEN LEFT BEHIND ist ein persönlicher und facettenreicher Film über die Situation einer Transgender Person mit Migrationshintergrund zu Zeiten Donald Trumps. Der Film thematisiert Transrealitäten nicht nur auf der narrativen Ebene, sondern sorgt außerdem dafür, dass alle Transgender Charaktere von Transgender Schauspieler*innen gespielt werden und die Trans Community diesen Film produziert.
March for Dignity
Regie: John Eames, 2020, Dokumentation United Kingdom/Georgien
Georgien hat eine lange und brutale Geschichte der Gewalt gegen LGBTIQ* Personen, angeführt von rechtsextremen Gruppierungen und der georgisch-orthodoxen Kirche. MARCH OF DIGNITY ist nur eine Momentaufnahme, doch wirft der Film Licht auf die entscheidende Frage, ob Georgien den von Russland unterstützten queer-feindlichen Weg fortsetzen, oder ein neuer Weg einschlagen will, der Menschenrechte schützt. Der Film begleitet eine Gruppe von LGBTIQ* Aktivist*innen in Tiflis während der Organisation der ersten Tiflis Pride. Es geht um den Kampf um Raum, um Sichtbarkeit und Menschenrechte und darum, was es bedeutet einem gewaltbereiten Umfeld ausgesetzt zu sein.
Jonathan Agassi saved my life
Regie: Tomer Heymann – Dokumentation, 2018, Deutschland/Israel
Als Regisseur Tomer Heymann den weltbekannten schwulen Pornostar Jonathan Agassi bat, der Hauptdarsteller seines nächsten Films zu sein, zeigte sich Agassi besorgt darüber, dass seine Mutter nicht an einem Film mitwirken würde, der die ganze Wahrheit präsentiert. Es kam jedoch anders und sie wurde Teil eines außergewöhnlichen und intimen Porträt über das Leben und Schaffen von Jonathan Agassi. JONATHAN AGASSI SAVED MY LIFE ist ein Dokumentarfilm über sexuelle Fantasien, die Welt der Pornografie und eine liebevolle und ermutigende Mutter-Sohn-Beziehung, die abseits konventioneller Familienmodellen funktioniert.
Dykes, Camera, Action!
Regie: Caroline Berler – Dokumenation, 2018, USA
Lesbische Frauen konnten sich nicht immer selbst auf dem Bildschirm sehen und wiedererkennen. Aber zwischen Stonewall als feministische Bewegung und dem experimentellen Kino der 1970er Jahre schufen sie mehr Sichtbarkeit für sich und veränderten die gesellschaftliche Vorstellung von Queerness. Die Filmemacherinnen Barbara Hammer, Su Friedrich, Rose Troche, Cheryl Dunye, Yoruba Richen, Desiree Akhavan, Vicky Du, die Filmkritikerin B. Ruby Rich, Jenni Olson und andere erzählen in diesem Film bewegende und oftmals humorvolle Geschichten aus ihrem Leben und diskutieren, wie sie ihre queere Identität durch das Medium Film zum Ausdruck gebracht haben. DYKES, CAMERA, ACTION! ist eine Geschichte des queeren Kinos von den Frauen, die dies möglich gemacht haben.
Breaking Fast
Regie: Mike Mosallam – Drama, 2020, USA
Mo, praktizierender Muslim und erfolgreicher Arzt, erholt sich von seiner letzten Trennung, als er den typisch amerikanischen, weißen Schauspieler Kal kennenlernt. Mo plagt die Vorstellung Ramadan alleine verbringen zu müssen, doch überrascht ihn Kal mit dem Angebot, mit ihm gemeinsam den Fastenmonat zu bestreiten. BREAKING FAST ist eine ermutigende Liebeskomödie über die Anfänge einer Beziehung im Fastenmonat Ramadan. Basierend auf dem gleichnamigen Kurzfilm, der in Cannes präsentiert wurde und auf überwältigend positive Reaktionen des Publikums stieß, kreierte Regisseur und Drehbuchautor Mike Mosallam erfolgreich eine Langversion von BREAKING FAST.
Another Europe
Regie: Sangam Sharma – Essayfilm, 2020 Österreich
Another Europe ist ein Essayfilm in der Tradition des feministischen Experimentalfilms. Der Film ist durch die Zeit vor und nach Corona (oder vielmehr währenddessen) geprägt: der Bruch durch COVID-19 und die lange Reise nach Hause. Eine weibliche Stimme gibt Eindrücke und Wahrnehmungen wider, persönliches und historisches, die Grenzen von Dokumentation und Erinnerung verschwimmen. Dann ganz plötzlich passiert mitten in diesem Europa, mitten in dem Film, der bereits zu Ende gedacht war, in einer Krise, mit der keiner gerechnet hat und die alles auf einen Schlag verändern wird. Die Reise quer durch Europa wird nunmehr schlagartig zur Reise zurück nach Wien, durch ein völlig verändertes Europa. Es geht jetzt nur noch um das Ankommen, zu Hause und bei sich selbst.
Welcome to Chechnya
Regie: David France – Dokumentation, 2020, USA
2017 sorgten Berichte über die Verfolgung, Folter und Ermordung von LGBTIQ* Personen in Tschetschenien international für Aufsehen. Das vom Kreml unterstützte Staatsoberhaupt Ramsan Kadyrow negierte die Anschuldigungen und bestritt sogar die Existenz queerer Menschen in Tschetschenien. David Frances Film widmet sich der Arbeit einer in Moskau ansässigen Gruppe von Aktivist*innen, die sich zusammen schlossen, um Betroffene zu retten und aus Tschetschenien zu schmuggeln. Mit Hilfe von Deepfake-Technologien und der Unterstützung von Freiwilligen, die den Betroffenen ihre Gesichter “liehen”, vermag der Film die Anonymität der Aktivist*innen wie auch der Geflüchteten zu wahren.
Comets
Regie: Tamar Shavgulidze – Drama, 2019, Georgien
In einem Interview sagte Regisseurin Tamar Shavgulidze, dass sie nicht an bedingungslose Liebe glaube, jedoch plötzlich das Bedürfnis verspürte, es zumindest für eine kurze Zeit doch zu tun. In diesem Moment entschied sie, COMETS zu drehen, einen faszinierenden Film über die Geschichte von Irina und Nana, die dreißig Jahre nach ihrer Trennung in Nanas Hinterhof aufeinandertreffen. Irina und Nana wuchsen zusammen auf, als Teenager bemerkten sie, dass sie mehr als Freundinnen waren. Doch die Umstände trennten sie und erst drei Jahrzehnte später kehrt Irina in ihre Heimatstadt zurück, jenen Ort, an dem sie Nana das letzte Mal gesehen hatte. Nana heiratete, gründete eine Familie und ihr ruhiges Leben wird plötzlich von Irina gestört, die wie ein Komet eintrifft und sie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.
Gunpowder Heart
Regie: Camila Urrutia – Drama, 2019, Guatemala/Spanien
Claudia und Maria, durchstreifen die Straßen der Stadt Guatemala. Claudia arbeitet in einem Callcenter und interessiert sich kaum für die Welt um sie herum. Sie lebt mit ihrem aktivistischen Großvater zusammen, der versucht, sie davon zu überzeugen, sich seiner Sache anzuschließen. Maria, im Gegensatz zu Claudia, ist eher spontaner Natur und lebt mit ihrer Mutter am Rande der Stadt. Die chaotischen Straßen Guatemalas sind voller Geschichten von Misshandlungen, unversöhnlichen Polizisten und geheimen Ecken. Alles ändert sich eines Nachts, als sie von drei Männern angegriffen werden. Obwohl es ihnen gelingt zu fliehen, steht Claudia vor dem Dilemma, sich zu rächen oder auf den Rat ihres Großvaters zu hören. Gunpowder Heart ist ein realistischer Bericht darüber, wie klaustrophobisch es ist, in einer patriarchalischen Gesellschaft zu leben, in der Verbrechen an Frauen ungestraft bleiben.
Alle Filme können für den Festivalzeitraum von 18. bis 22. November gestreamt werden.