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Interviews

Kollektiv Total Refusal - "Kunst könnte aber viel unterhaltsamer sein..."

Total Refusal bezeichnet sich selbst als “pseudo-marxistische Medienguerilla-Truppe“, die mit künstlerischen Interventionen und der Aneignung von Mainstream-Games arbeitet. Videospiele werden recycelt, um politische Machtverhältnisse hinter den glänzenden und hyperrealen Oberflächen dieser Medien zu enthüllen. Eine Auswahl der technisch herausragend gestalteten und preisgekrönten Filmprojekte geben Einblicke in die inhaltlichen und methodischen Handlungsräume ihrer Arbeit.

 

Gemeinsam mit Cinema Next zeigen wir ihren mehrfach prämierten Film Hardly Working neu im Programm. Mit den Videoarbeiten Featherfall, How to Disappear und Operation Jane Walk können wir somit vier Kurzfilme des Kollektivs kostenlos anbieten. Wir haben das Kollektiv zum Interview getroffen:

Wie würdet ihr Total Refusal und die Arbeit im Kollektiv beschreiben?

Total Refusal ist ein marxistisches Medienkollektiv, das sich sowohl in wissenschaftlicher Theorie als auch als Kunstschaffende mit dem Massenmedium Videospiel auseinandersetzt. Videospiele werden dabei in der Regel nicht maßgeblich modifiziert, sondern ihre Ressourcen für neue politische Erzählungen genutzt, die im marketingdominierten Korsett des Mainstreams keinen Platz finden. Unsere Arbeit ist damit eine Art narratives Upcycling eines Mediums, das zwar technisch große Sprünge macht, in seinen Geschichten und Spielweisen aber stagniert bzw. in den reaktionären Loops des Erprobten festhängt (so wie eh das Meiste im Kapitalismus). Formal folgt die Arbeit in Total Refusal keiner festen Rollenverteilung – wir alle beteiligen uns an sämtlichen Arbeitsfeldern unserer Projekte.

Wie kam euch die Idee, aus Videospielen Kurzfilme zu machen?

Wir spielen Videospiele, in denen unsere Welt als Repräsentation nachgebaut wird, in ihren Phantasien, Ängsten und unerfüllten Wünschen. Wie viele andere Gamer:innen machen wir dort Unsinn, beugen die Regeln. Für uns als Künstler:innen lag es nahe, diese Regelbrüche aufzunehmen, zu kommentieren und hinsichtlich unseres theoretischen Interesses zu nutzen. So kam es zu unserem ersten Film, der in seiner Form in vielen Facetten noch den auf YouTube populären Let’s Plays entsprach und der eigentlich primär deshalb bei einem Festival eingereicht wurde, weil wir uns Akkreditierungen für dieses Festival erhofften.

Was wollt(et) ihr (auf)zeigen? Beispielsweise mit dem Kurzfilm Hardly Working, der auch im Rahmen der Viennale gezeigt wurde, sowie den Preis für die Beste Regie im Internationalen Kuzfilmwettbewerb in Locarno gewonnen hat?

In diesem Film beobachteten wir Nicht-Spielbare-Charaktere, wie sie ihrer täglichen Arbeit in einer minutiös nachgebildeten Darstellung innerhalb einer großen, offenen Welt in einem Videospiel nachgehen. Als Marxist:innen verwendeten wir diese Repräsentationen, um über unseren gegenwärtigen Begriff von Arbeit im Spätkapitalismus nachzudenken. Die Menschen stecken genau wie die digitalen Figuren in endlosen Schleifen einer Tätigkeitsperformance, die Anhäufung von Wohlstand folgt keinem Ziel, oder Arbeit selbst führt oft auch, selbst wenn sie hart ist, nicht zu einer Existenzsicherung.

Featherfall, der nun ebenfalls kostenfrei neben How to Disappear und Operation Jane Walk auf unserer Plattform zu sehen ist, war ursprünglich als Installation konzipiert und wurde auf mehreren Bildschirmen, die übereinander aufgehängt waren, auf der Biennale gezeigt. Funktioniert die Installation auch/anders in einem klassischen Filmsetting? Wie verläuft bei euch die Grenze zwischen Film und Kunstinstallation?

Eigentlich wurde diese Arbeit nicht für das Kino entwickelt; für diesen Bereich hätte es viel mehr dramaturgische Setzungen gebraucht. Für Videos wie Featherfall jedoch gibt es in Festivals die Experimentalfilmschiene. Der Unterschied zwischen Kunst- und Filmwelt ist jedoch ein großer und wir finden, eigentlich auch zu unrecht. Im Film wird auf Spannung und Unterhaltung gesetzt – selbst bei sperrigen Themen. Kunst könnte aber viel unterhaltsamer sein, um Zugänglichkeit zu schaffen. Damit würde sie nicht viel verlieren.

Ihr zieht für eure Arbeit beispielsweise die klassischen Ego-Shooter Battlefield V und Red Dead Redemption 2 heran, die einer bestimmten Helden:innengeschichte folgen – was fasziniert euch gerade an diesen Spielen? Nach welchen Kriterien sucht ihr Spiele für eure Arbeit aus?

In den beiden genannten Projekten war die Motivation der Spielewahl eigentlich genau gegensätzlich: Battlefield V ist ein kompetitives Online-Spiel mit einem sehr eng gestrickten Handlungsrahmen. Die Motivation, die Möglichkeit des Ungehorsams im Videospiel genau hier zu untersuchen, lag also (neben dem thematisch naheliegenden Kriegssetting) genau in den klaren Restriktionen des Spiels. Die Frage des Ungehorsams erforderte gewissermaßen diese Hürden und Grenzen. Bei Red Dead Redemption 2 war es genau umgekehrt: Mit seiner riesigen, sehr detailreich ausgestatteten Spielwelt und den per Motion-Capturing verhältnismäßig realitätsnah dargestellten NPCs bot uns das Spiel die idealen Voraussetzungen, die Repräsentation von Arbeit im Spiel zu analysieren.
Grundsätzlich lässt sich also sagen: Das Setting von Spielen ist natürlich immer relevant, aber darüber hinaus kann es eben besonders gut, oder aber auch besonders schlecht für unser Vorhaben geeignet sein. So arbeiten wir z.B. aktuell an einem Tanzfilm in einem Spiel, in dem man sich mit seiner Figur noch nicht einmal ducken oder springen kann.

Sind zukünftige Projekte in Planung?

Ja, ein Lecture Ballet über Demokratie und Kapitalismus, das in einem Spiel gefilmt wird, in dem Washington, D.C. nachgebaut wurde – und ein Film in Sport Games, in denen wir über Individualismus nachdenken. Auch ist ein Projekt zur Manosphere geplant – der digitalen toxischen Männlichkeit, die in Amerika zum Sturm auf das Kapitol beigetragen hat.

 

Alle Filme von Total Refusal im KINO VOD CLUB:

Hardly Working 

NPCs sind digitale Sisyphusmaschinen, die keine Perspektive haben, aus ihren Aktivitätsschleifen auszubrechen. In den Momenten, in denen der Algorithmus Inkonsistenzen aufweist, brechen die NPCs aus der Logik der völligen Normalität aus und wirken rührend menschlich.

Regie: Total Refusal
Kurzfilm, AT 2022, 20min


Featherfall 

Die Videoarbeit „Featherfall“ basiert auf Recherchen in Online-Foren, in denen Videoplayer ihre Traumerlebnisse austauschen. Es wird deutlich, wie nahe Traum- und Spielwelten in der Psyche der Nutzer:innen einander kommen, und welche Rückkopplungen sich zwischen den beiden alternativen Realitäten entwickeln können.

Regie: Total Refusal
Kurzfilm, AT 2019, 10min


How to Disappear 

Ist es möglich, in einem Ego-Shooter-Spiel zu desertieren? Entlang dieser Frage reflektiert “How to Disappear” über Krieg und Spiel, Disziplin und Ungehorsam. Denn die Geschichte der Kriegsverweigerung ist genauso alt wie die Geschichte des Krieges.

Regie: Total Refusal (Robin Klengel, Leonhard Müllner, Michael Stumpf)
Kurzfilm, AT 2020, 21min


Operation Jane Walk 

Eine Stadtführung durch die Architekturen eines Online Shooters: Ausgangspunkt der Arbeit Operation Jane Walk ist der dystopische Mehrspieler-Shooter Tom Clancy‘s: The Division (Ubisoft Entertainment 2016). Die digitale Kampfzone des Spiels wird durch einen künstlerischen Eingriff zweckentfremdet.

Regie: Total Refusal (Leonhard Müllner, Robin Klengel)
Kurzfilm, AT 2018, 20min


 

Total Refusal wurde 2018 gegründet und besteht aktuell aus Susanna Flock, Adrian Jonas Haim, Jona Kleinlein, Robin Klengel, Leonhard Müllner und Michael Stumpf. Das Kollektiv wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Diagonale Filmpreis für den besten Kurzdokumentarfilm, dem Contemporary Visual Arts Award des Landes Steiermark und dem Vimeo Staff Pick Award. Ihre Filme wurden auf Festivals wie der Berlinale, der Doc Fortnight im MOMA New York oder dem IDFA Amsterdam, aber auch im Ausstellungskontext wie bei der Architekturbiennale Venedig, dem HEK in Basel und der Ars Electronica in Linz gezeigt. „Hardly Working“ feierte seine Premiere beim Locarno Film Festival gezeigt.

Credits: Total Refusal © Sarah Fichtinger